Sehnsucht in Berlin
Mein Berlin war der Ostteil der Stadt in den 80er und frühen 90er Jahren, war noch viel DDR, aber auch schon Wende und Neuanfang. Ostberlin war ziemlich grau, ohne Werbebanner und Leuchtreklamen, auch leiser und unaufgeregter als heute.
Die meisten Häuser sahen älter aus als sie waren und einige waren so baufällig, dass niemand mehr darin wohnen durfte. Das waren meine Fotoparadiese und, da viele Dachluken der Mietshäuser unverschlossen waren, auch die Dachlandschaften der Stadt im dunstig gelben Licht der aufgehenden Sonne. Ich liebte es, mich mit meinen Modellen in diese Kulissen zu begeben und sie dort unverhüllt zu fotografieren, weil Nacktheit in dieser Stadt immer auch ein Stück Freiheit war. Gleichzeitig reizte mich die bildliche Darstellung des Gegensatzes von hartem Stein und weicher Haut. Im Kontrast zur Härte und Kühle der maroden Stadtlandschaften zeigt ein unbekleideter Körper, trotz selbstbewusster Zurschaustellung, immer seine Verletzlichkeit - die dicken Hausmauern werden zu kafkaesken Symbolen für Schutz und gleichzeitigen Eingesperrtseins.
Viele Berliner, insbesondere junge Menschen, die ich traf und fotografierte, waren von einem stillen Verlangen befallen. Genau wie sie, sehnte auch mich nach etwas, das man noch nicht erlebt hatte und auch nicht in Worte fassen konnte und von dem keiner wußte, ob es überhaupt existierte. Heute erkenne ich in den Bildern aus jener Zeit, in den Stadtansichten, Porträts und arrangierten Geschichten, stärker denn je diese imaginäre Sehnsucht.